100006 Fachliche Perspektiven | (Welt-)Bürgerkriege

Veranstaltungsdetails

Lehrende: Prof. Dr. Jarko Fidrmuc; Prof. Dr. phil. habil. Maren Lehmann; Prof. Dr. phil. habil. Gloria Meynen; Prof. Dr. Manuela Spindler

Veranstaltungsart: Seminar

Orga-Einheit: Studentische Forschung

Anzeige im Stundenplan: Fachliche Persp.

Semesterwochenstunden: 3

Credits: 4,0

Standort: Campus der Zeppelin Universität

Unterrichtssprache: Deutsch

Min. | Max. Teilnehmerzahl: - | 160

Inhalte:
Soziologische Perspektive (Prof Dr Maren Lehmann)
Der „Weltbürgerkrieg“ ist kein soziologischer Begriff, sondern eine geschichtsphilosophische Metapher, die die Ausdehnung von nationalen und regionalen Konflikten zu weltweiten Konflikten zu beschreiben versucht. Der soziologische Begriff wäre noch zu bilden; dem dient diese Lehrveranstaltung. Die Ausgangsüberlegung lautet: An die Stelle territorial begrenzter kriegerischer Auseinandersetzungen, die sich um knappe Ressourcen drehen (Zugang zum Meer oder zu schiffbaren Flüssen, Öffnung von Landpassagen, Zugang zu Bodenschätzen usw.), treten territorial unbegrenzte Kriege, die sich um Werte oder Ideologien drehen. Deswegen, so wird vermutet, treten Bürgerkriege und Weltbürgerkriege vor allem (und dann meist unter dem Namen „Terrorismus“) im Umfeld der neuzeitlich-modernen Revolutionen seit 1789 auf. Man hat es, könnte man sagen, mit einem negativen, ja sogar perversen Effekt jenes Wandels von materialistischen zu postmaterialistischen Werten zu tun, den die Soziologie für einen grundlegenden Begleiteffekt der Modernisierung hält. Vorlesung und Seminar werden sich daher zunächst mit der Frage auseinandersetzen, wie plausibel die genannten Entgrenzungsannahmen sind. Im Anschluß wird nach der Sozialform des Krieges im Kontext der bürgerlichen Gesellschaft gefragt, um sich von da aus einer soziologischen Analyse des aktuellen Weltterrorismus nähern zu können.

Politikwissenschaftliche Perspektive (Prof Dr Manuela Spindler)
Politikwissenschaftler und Politikwissenschaftlerinnen haben traditionell die Veränderung bzw. die Transformation von „Staat“, „Staatlichkeit“ und „Staatensystem“ im Blick – ist doch der Begriff des Politischen historisch, praktisch-politisch, geistesgeschichtlich und auch theoretisch untrennbar mit der Herausbildung und Entwicklung des modernen Territorial- und Nationalstaates westlicher Prägung im Europäischen Kontext verknüpft. Die gegenwärtigen Verwerfungen in der internationalen Politik, insbesondere bis heute nicht gelöste, komplexe Konflikte wie der Syrien- oder der Ukraine-Konflikt, stellen sowohl die Erklärungspotenziale der politikwissenschaftlichen Disziplin(en), ihre praktisch-politische Relevanz (also ihre gesellschaftliche und politische Wirkungsmächtigkeit) und auch die Konfliktbearbeitungsstrategien gegenwärtiger internationaler Politik auf den Prüfstein.
Der politikwissenschaftliche Beitrag zum Thema der (Welt-)Bürgerkriege nimmt gezielt und exemplarisch den Syrien-Konflikt in seiner binnenstaatlich-gesellschaftlichen, nationalen, seiner regionalen und seiner international-globalen Dimension zum Ausgangspunkt einer kritischen Diskussion staatszentrierter theoretischer Modelle politikwissenschaftlichen Ordnungsdenkens. Im Vordergrund jedoch stehen die praktisch-politischen Konsequenzen dieser Ordnungsmodelle, denn wir finden diese nicht nur in Form politikwissenschaftlicher Theorien, sondern auch in Form in die politische Praxis internationaler Politik eingebetteter Leitideen, die sich nicht zuletzt in der Wahl der Konfliktbearbeitungsstrategien widerspiegeln.

Ökonomische Perspektive (Prof Dr Jarko Fidrmuc)
Warum sollten Länder Kriege führen, wenn sie miteinander handeln können?
Der Kampf um ökonomische Ressourcen wird oft als eine der wichtigsten Ursachen von Kriegen gesehen. Dabei ist der Kriegsausgang immer ungewiss und die Kriegsführung selbst mit erheblichen Kosten verbunden und ein Krieg kann lange, wirklich sehr lange dauern. Die Folgen von Kriegen, unter anderem auf die institutionellen Entwicklungen, können die weitere Entwicklung für Jahrzehnte, wenn nicht sogar Jahrhunderte belasten. Im Allgemeinen zerstört jeder Krieg mehr Ressourcen, als das Siegerland für sich beanspruchen kann.
Aus der ökonomischen Betrachtung ist deshalb jeder Krieg ineffizient und nicht rational, in anderen Worten nicht ökonomisch. Im Außenhandel werden die Ressourcen global so verteilt, dass der effizienteste Produzent sie benutzen und damit den höchsten Ertrag erzielen kann. Durch den freien Handel werden Marktpreise geschaffen, von welchen die ursprünglichen Eigentümer der natürlichen Ressourcen, die Produzenten, und nicht zuletzt die Konsumenten den höchsten Nutzen haben. Die hypothetische Welt des Homo Oeconomicus wäre vielleicht nicht schöner als die wirkliche Welt, aber es wäre eine friedlichere Welt.
Oder doch nicht? Die Wirtschaftsmacht der globalen Monopole kann die Macht der nationalen Regierungen und sogar jene der internationalen Institutionen deutlich übersteigen. Handelsverzerrungen können ungünstige Konditionen für kleine und unterentwickelte Länder schaffen. Beabsichtigte oder auch nicht beabsichtigte Wirtschaftsentscheidungen der Wirtschaftsmächte können betroffene Länder über mehrere Jahre negativ beeinflussen. Die neue Welle des Protektionismus gleicht einem feindlichen Angriff gegen ausgewählte Länder. Auch das Bild der friedlichen ökonomischen Weltordnung basiert daher vielleicht auf unrealistischen Annahmen.
Hinzu kommt, dass internationale Handelspolitik immer auch von Regierungen und internationalen Institutionen wie den Vereinten Nationen zur Erreichung bestimmter politischer Ziele eingesetzt wird. Der kalte Krieg war ein Krieg der unterschiedlichen Wirtschaftssysteme und der Wirtschafskollaps des Ostblocks wurde als der Sieg des freien Marktes über die eisernen Regulierungen und Beschränkungen des Kommunismus gefeiert. Ein anderes Beispiel sind Wirtschaftssanktionen, die zu einem neuen globalen politischen Instrument geworden sind, dessen Kraft militärische Auseinandersetzungen zunehmend obsolet erscheinen lässt und das mit geringeren humanen Verlusten als klassische Kriege verbunden sind.
Die traditionellen Kriege haben zwar überwiegend politische Ursachen, sie haben aber jedenfalls große wirtschaftliche Auswirkungen, nicht nur auf die involvierten Länder, sondern auch auf Drittstaaten. Die Bevölkerung flüchtet aus den Kriegsgebieten in andere Länder, auch nach Europa. Der Terrorismus ist zu einem neuen globalen, mit hohen Kosten verbunden Problem geworden, das eine neue internationale Politikkoordination erfordert.
Die zu diskutierenden Themen decken verschiedene Bereiche ab: Die Auswirkungen der Kriege auf Institutionen und Sozialkapital, der kalte Krieg, Kriege in der Nachbarschaft der EU (Jugoslawien, Ukraine, Syrien), Terrorismus und Cyber-Terrorismus, Wirtschaftssanktionen z.B. gegenüber Russland, Flüchtlinge und ihre Integration in den Zielländern der Migration, etc.

Kulturwissenschaftliche Perspektive (Prof Dr Gloria Meynen)
Der Titel des diesjährigen Zeppelinjahrs „(Welt-)Bürgerkriege“ legt die Welt in Klammern – der kultur- und medienwissenschaftliche Schwerpunkt nimmt die Klammer zum Anlass, um eine Unschärfe zu thematisieren. Mit dem Ende des Kalten Krieges, dem Fall der Mauer und Zerfall der bipolaren Weltordnung, so kann man immer wieder lesen, seien auch die klassischen Staatenkriege verschwunden. Die Geschichts- und Gesellschaftswis­senschaften bezeichnen sie häufig ex negativo. Sie hätten keine klaren Fronten und mieden jede Entscheidungsschlacht – seien transnational, asymmetrisch und potentiell unendlich. Die Methoden und Analyseinstrumenten versagen bei einem Phänomen, das sich offenbar nur schwer in Raum und Zeit eingrenzen lässt. Die Negationen verweisen nicht nur auf ein terminologisches Vakuum. (Welt-)Bür­ger­kriege lassen sich nicht einklammern: Sie sind weder Weltkriege, noch Bürger­kriege. In systematischer wie strategischer Hinsicht scheinen sie mit der Entgrenzung zu rechnen – diese schwarze These der Globalisierung soll in der kultur- und medienwis­sen­schaftlichen Fachperspektive des Zeppelinjahrs genauer untersucht und befragt werden.

Die kollabierenden Türme von 9/11, die Videos des IS, die Debatten um ein neues Bilderverbot angesichts der Zurschaustellung der Gewalt, die Nutzung sozialer Medien bei der Durchführung von Terrorakten, die Fake News und Cyberattacken verweisen auf die gesteigerte Bedeutung der Medien: die Szenarien des Terrors und der Bedrohung werden medial hergestellt und inszeniert. Der kultur- und medienwissenschaftliche Schwerpunkt lädt sie dazu ein, die Medien des globalen Terrorismus an paradigmatischen Beispielen der Entgrenzung zu diskutieren. Gefragt werden soll dabei erstens nach der strategischen Rolle der Medien im Terrorismus und zweitens nach den Kulturen des Terrors. Welchen Anteil haben Medien bei der Erzeugung der ubiquitären Bedrohung? In welchem Verhältnis stehen Terror und Berichterstattung? Die Fragen lassen sich ebenso gut umkehren. Denn Terroristen handeln wie die Militärstrategen des Kalten Krieges auch mit Fiktionen. Bedrohungsszenarien werden mit singulären Aktionen und ikonischen Bildern entworfen und geschürt. Ikonische Bilder aber sind niemals privat – sie können nur wirken, wenn sie Mainstream sind. Jean Baudrillard sprach darum von einer »Komplizenschaft«. Terroristen sind »unheimliche Nachbarn«: Sie entspringen nicht selten den Kulturen, die sie bekämpfen. Mit welchen Ästhetiken, Identitäten und Kulturen der Gewalt wird die ubiquitäre Bedrohung hergestellt? Welche Wechselwirkungen gibt es etwa zwischen den medialen Inszenierungen des Terrorismus und den Narrationen des Kinos, der Musikkultur, der Computerspiele, der Videokunst oder der Literatur? Im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends entstanden die Cold War Studies, die sich eine Beschreibung der neuen Lage durch die Absetzung von der bipolaren Weltordnung erhofften. Aber (Welt-)Bürgerkriege sind weder »hot« noch »cold«. Aus einer historiographischen Perspektive kann man darum mit den Kulturen der Entgrenzung nicht nur nach den Zäsuren, sondern auch Kontinuitäten zwischen den Fiktionen des Kalten Krieges und den Kulturen des Terrors fragen.

Weitere Informationen zu den Prüfungsleistungen:
Kommentierte, nicht benotete Hausarbeit (bestanden/nicht bestanden) im Umfang von ca. 20.000 Zeichen.

Literatur:
zur ökonomischen Perspektive


  • Daron Acemoglu, James Robinson (2012): Why Nations Fail: Origins of Power, Poverty and Prosperity, Crown Publishers, chapters 1, 5, 13.
  • Daron Acemoglu, James Robinson (2006, 2009): Economic Origins of Dictatorship and Democracy, Cambridge University Press, chapters 1, 5, 7, 11.

Kleingruppe(n)
Die Veranstaltung ist in die folgenden Kleingruppen aufgeteilt:
  • Fachliche Perspektiven | CCM

    Prof. Dr. phil. habil. Gloria Meynen

    Do, 23. Nov. 2017 [10:00]-Do, 30. Nov. 2017 [12:30]

  • Fachliche Perspektiven | CME

    Prof. Dr. Jarko Fidrmuc

    Do, 23. Nov. 2017 [10:00]-Do, 30. Nov. 2017 [12:30]

  • Fachliche Perspektiven | PAIR

    Prof. Dr. Manuela Spindler

    Do, 23. Nov. 2017 [10:00]-Do, 30. Nov. 2017 [12:30]

  • Fachliche Perspektiven | SPE

    Prof. Dr. phil. habil. Maren Lehmann

    Fr, 17. Nov. 2017 [13:30]-Do, 23. Nov. 2017 [12:30]

Termine
Datum Von Bis Raum Lehrende
1 Do, 14. Sep. 2017 10:00 12:30 Fab 3 | Graf von Soden | Forum 0.01 Prof. Dr. Jarko Fidrmuc; Prof. Dr. phil. habil. Maren Lehmann; Prof. Dr. phil. habil. Gloria Meynen; Prof. Dr. Manuela Spindler
2 Do, 21. Sep. 2017 10:00 12:30 Fab 3 | Graf von Soden | Forum 0.01 Prof. Dr. phil. habil. Maren Lehmann
3 Do, 28. Sep. 2017 10:00 12:30 Fab 3 | Graf von Soden | Forum 0.01 Prof. Dr. phil. habil. Gloria Meynen
4 Do, 5. Okt. 2017 10:00 12:30 Fab 3 | Graf von Soden | Forum 0.01 Prof. Dr. Manuela Spindler
5 Do, 12. Okt. 2017 10:00 12:30 Fab 3 | Graf von Soden | Forum 0.01 Prof. Dr. Jarko Fidrmuc
6 Do, 19. Okt. 2017 10:00 12:30 Fab 3 | Graf von Soden | Forum 0.01 Prof. Dr. phil. habil. Maren Lehmann
7 Do, 2. Nov. 2017 10:00 12:30 Fab 3 | Graf von Soden | Forum 0.01 Prof. Dr. phil. habil. Gloria Meynen
8 Do, 9. Nov. 2017 10:00 12:30 Fab 3 | Graf von Soden | Forum 0.01 Prof. Dr. Manuela Spindler
9 Sa, 11. Nov. 2017 10:00 12:30 Fab 3 | Graf von Soden | Forum 0.01 Prof. Dr. Jarko Fidrmuc
10 Do, 16. Nov. 2017 13:30 16:00 Fab 3 | 1.09 Blackbox Prof. Dr. Manuela Spindler
Veranstaltungseigene Prüfungen
Beschreibung Datum Lehrende Bestehenspflicht
1. Endterm Nein
Fachliche Perspektiven | CCM k.Terminbuchung Ja
Fachliche Perspektiven | CME k.Terminbuchung Ja
Fachliche Perspektiven | PAIR k.Terminbuchung Ja
Fachliche Perspektiven | SPE k.Terminbuchung Ja
Übersicht der Kurstermine
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  • 2
  • 3
  • 4
  • 5
  • 6
  • 7
  • 8
  • 9
  • 10
Lehrende
Prof. Dr. phil. habil. Maren Lehmann
Prof. Dr. Manuela Spindler
Prof. Dr. Jarko Fidrmuc
Prof. Dr. phil. habil. Gloria Meynen