4000232 Wissenschaftstheorie & Wissenschaftsforschung

Veranstaltungsdetails

Lehrende: Prof. Dr. Dr. Manfred Moldaschl

Veranstaltungsart: Seminar

Orga-Einheit: Graduate School | ZUGS

Anzeige im Stundenplan: Wiss.Theorie

Semesterwochenstunden: 1

Credits: 4,0

Standort: Campus der Zeppelin Universität

Unterrichtssprache: Deutsch

Min. | Max. Teilnehmerzahl: 3 | 10

Inhalte:
Problem und Gegenstandsbestimmung

 Wissenschaftstheorie ist die theoretische Begründung, Erklärung und Kritik dessen, was Wissenschaftler tun bzw. tun sollten. Einen Höhepunkt erreichten wissenschaftstheoretische Debatten in den 1970er Jahren, in denen auch sonst die Produktionsbedingungen akademischen Wissens immer mehr zum Thema wurden (Stichworte Wissensgesellschaft, Wissenschaftsgesellschaft, Verwissenschaftlichung der Industrie, Finalisierung der Wissenschaft u.ä.).

Ist die Tatsache, daß Wissenschaftstheorie in vielen Studiengängen und manchen Universitäten kaum oder gar nicht mehr angeboten wird, der Beleg dafür, daß die Grundfragen als beantwortet angesehen werden können? Oder ist sie ein Indikator für erlahmende Selbstkritik in der Wissenschaft? Ein Zeichen für eine routiniert-selbstgewisse Betriebsförmigkeit, in der der „Wissenschaftsbetrieb“ für grundsätzliche Fragen und Infragestellungen keine Zeit mehr zu haben glaubt? Sollte letztere Diagnose zutreffen, so ist damit zu rechnen, daß damit auch Qualitätsansprüche an Wissenschaft und Sinnansprüche in Wissenschaft sinken. Die Lehrveranstaltung geht von beiden Annahmen aus und stellt zur Debatte, inwieweit aktuelles wissenschaftliches Arbeiten (noch) der wissenschaftstheoretischen Begründung bedarf.

 Arbeitete die Wissenschaftstheorie früher primär theoretisch und empirisch nur insoweit, als sie historische Fallbeispiele als Belege für ihre Annahmen heranzog (methodologisch gesprochen: Fallrekonstruktionen), so werden heute an sie mehr oder weniger dieselben Ansprüche gestellt wie an jede andere Theorie. Sie muß sich empirisch bewähren. So entstand, auch basierend auf der Bereitstellung entsprechender Mittel durch die Wissenschafts- und Förderpolitik, eine empirische Wissenschaftsforschung von mittlerweile kaum mehr überschaubarem Umfang. Zumindest einige Einblicke in dieses dynamische Feld will die Lehrveranstaltung vermitteln. Der Sinn besteht natürlich darin, stichprobenartig zu prüfen, welche empirischen Befunde welche wissenschaftstheoretische Position stützen, und welche Erkenntnisfortschritte es gibt (oder ob es sie überhaupt gibt). Nicht behandeln kann die LV ein drittes Thema, auch wenn es vielleicht das wichtigste wäre: ob und ggf. wie wissenschaftliches Wissen in der Gesellschaft „wirkt“ (Verwendungsforschung).

Da sich die Lehrveranstaltung an Postgraduierte richtet, die aktuell eine Forschungsarbeit verfassen, sollen diese beiden Einführungen nur der Herstellung eines Mindestmaßes an gemeinsamem Wissen dienen. Der Schwerpunkt der LV soll auf den methodologischen Problemen der konkreten Forschungsarbeiten liegen, die von den Teilnehmern erarbeitet werden.

Themenschwerpunkte

 Die Teilnehmenden erhalten Gelegenheit zur Reflexion methodologischer Fragen, die sich in ihren individuellen Dissertationsvorhaben stellen. Zu diesem Zweck wird vorab eine Anfrage an die Teilnehmer nach den konkreten Schwerpunktthemen erhoben.  Ausgehend von typischen Problemen in Dissertationen können u.a. folgende Punkte vertieft behandelt werden:

(1) Theoriewahl, Theoriekombination und paradigmatische Fundierung

(2) Die Rolle von Subjektivität in den Wissenschaften (und warum diese in wissenschaftlichen Diskursen und Selbstbeschreibungen entweder nur als systematische Fehlerquelle prinzipiell bekämpft oder als Realität tabuisiert wird)

(3) Operationalisierung

(4) Probleme quantitativer Forschung (insbes. Kausalitätsannahmen und Interpretation, Empirismus, „Erfolgsfaktorenforschung“)

(5) Begründungs- und Generalisierungsprobleme qualitativer Forschung

Die Teilnehmenden sind folglich eingeladen, ggf. weitere vorzuschlagen.

(6) Ein’Oberthema‘ erlaubt sich der Lehrende allerdings selbst ins Spiel zu bringen: Das in der Academia insgesamt vorherrschende Wissenschaftsverständnis, welches als nomothetisch charakterisiert werden muß, und inwieweit dieses den sozial- und kulturwissenschaftlich bestimmten Gegenständen der an der ZU laufenden Forschungsarbeiten angemessen ist. Damit lassen sich epistemologische Fragen nicht ganz vermeiden.

Literatur:
Dem ‚Service-Charakter‘ des Seminars gemäß gibt es keine Pflichtliteratur, nur einige Vorschläge zu Themen, die hier unter folgenden Überschriften (kursiv) geordnet sind.

Epistemologische Grundlagen

Daston, L.; Galison, P. (2007): Objektivität. Frankfurt/M.: Suhrkamp.

Hartmann, D.; Janich, P. (1996): Methodischer Kulturalismus. In: Hartmann, D.; Janich, P.; (Hrsg.): Methodischer Kulturalismus. Frankfurt/M.: Suhrkamp, S. 9-69.

Kamlah, W. (1960): Wissenschaft, Wahrheit, Existenz. Stuttgart: Kohlhammer.

Knorr Cetina, K. (1999): Epistemic Cultures: How the Sciences Make Knowledge. Cambridge, Mass.: Harvard University Press.

Knorr Cetina, K. (1998): Spielarten des Konstruktivismus. Einige Notizen und Anmerkungen. In: Soziale Welt, Jg. 40, 1998, S. 86-96.

Lorenzen, P. (1974): Konstruktive Wissenschaftstheorie. Frankfurt/M.: Suhrkamp.

Rheinberger, H.-J. (2007): Historische Epistemologie. Hamburg: Junius.

Wissenschaftstheoretische Positionen

Albert, Hans (2002): Varianten des kritischen Rationalismus, in: J.M. Böhm et al. (Hrsg.), Karl Poppers kritischer Rationalismus heute. Tübingen: Mohr Siebeck, S. 3-22.

Chalmers, A.F. (2007): Wege der Wissenschaft: Einführung in die Wissenschaftstheorie (6. Aufl.). Berlin: Springer.

Feyerabend, Paul (1975): Wider den Methodenzwang. Frankfurt/M.: Suhrkamp.

Kuhn, Thomas S. (1967): Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen. Frankfurt/M.: Suhrkamp.

Popper, Karl R. (1989): Logik der Forschung. Tübingen: J.C.B. Mohr (Orig. 1935, Wien).

Spinner, Helmut F. (1994): Der ganze Rationalismus einer Welt von Gegensätzen. Studien zur Doppelvernunft. Frankfurt/M.: Suhrkamp.

Paradigmen

Moldaschl, M. (2013): Die Einbettung der Sozioökonomik. Paradigmatische Grundlagen und Transdisziplinarität. In: R. Hedtke (Hrsg.): Sozioökonomie. Wiesbaden: VS

Fleck, L. (1980): Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache. Einführung in die Lehre vom Denkstil und Denkkollektiv. Frankfurt/M.: Suhrkamp (Orig. 1935).

Schatzki, T., Knorr Cetina, K.; v. Savigny, E. (Eds.) (2001). The practice turn in contemporary theory. London: Routledge.

 Methodologie, Reflexivität

Alvesson, Mats; Sköldberg, K. (2000): Reflexive Methodology. New Vistas for Qualitative Research. London: Sage.

Dahms, Hans-Joachim (1994): Positivismusstreit. Die Auseinandersetzungen der Frankfurter Schule mit dem logischen Positivismus, dem amerikanischen Pragmatismus und dem kritischen Rationalismus. Frankfurt/M.: Suhrkamp.

Kincaid, Harold; Dupré, John; Wylie, Alison (eds.) (2007): Value-Free Science?: Ideals and Illusions. Oxford University Press.

Bammé, Arno (2004): Science Wars: Von der akademischen zur postakademischen Wissenschaft. Frankfurt/M.: Campus. Bammé, Arno (2009): Science and Technology Studies. Marburg: Metropolis.

Felt, Ulrike; Nowotny, Helga; Taschwer, K. (1995): Wissenschaftsforschung. Frankfurt/New York: Campus.

Flyvbjerg, Bent (2011): Making Social Science Matter. Why Social Inquiry Fails and How it Can Suceed again, Cambridge: University Press.

Gibbons, M.; Limoges, C.; Nowotny, H.; et al. (1994): The New Production of Knowledge. The dynamics of science and research in contemporary societies. London et al.: Sage.

Hackett, Edward J.; Amsterdamska, Olga, Lynch, Michael E.; Wajcman, Judy (Eds.) (2008) Handbook of Science and Technology Studies (3rd. Ed.). Cambridge, Mass.: MIT Press.

Merton, Robert K. (1973): The Sociology of Science. Chicago: Chicago University Press (dt.: Entwicklung und Wandel von Forschungsinteressen. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1985).

Münch, R. (2007): Die akademische Elite. Zur sozialen Konstruktion wissenschaftlicher Exzellenz. Frankfurt/M.: Suhrkamp.

Nowotny, Helga (2012): Auf der Suche nach Exzellenz: Wie viel Evaluierung verträgt das Wissenschaftssystem? Göttingen: Wallstein.

Nowotny, Helga; Scott, Peter.; Gibbons, Michael (2001): Re-Thinking Science. Knowledge and the Public in an Age of Uncertainty. Cambridge: Polity Press.

Strübing, Jörg (2005): Pragmatistische Wissenschafts- und Technikforschung. Theorie und Methode, Frankfurt/New York: Campus.

Weingart, Peter (2001): Die Stunde der Wahrheit? Zum Verhältnis der Wissenschaft zu Politik, Wirtschaft und Medien in der Wissensgesellschaft. Weilerswist: Velbrück.

Wolff, Stephan (2008): Wie kommt die Praxis zu ihrer Theorie? Über einige Merkmale praxissensibler Sozialforschung. In: Kalthoff, Herbert (Hrsg.): Theoretische Empirie. Die Relevanz qualitativer Forschung, Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 234-259.

Zelewski, Stephan; Akca, Naciye Hrsg. (2006): Fortschritt in den Wirtschaftswissenschaften. Wissenschaftstheoretische Grundlagen und exemplarische Anwendungen. Wiesbaden: DUV.

 Verwendungsforschung

Beck, U.; Bonß, W. (1989): “Soziologie und Modernisierung - Zur Ortsbestimmung der Verwendungsforschung”. Soziale Welt, 35, Heft 4, pp. 381-406.

Beck, U.; Bonß, W. (Hrsg.)(1989): Weder Sozialtechnologie noch Aufklärung? Analysen zur Verwendung sozialwissenschaftlichen Wissens. Frankfurt/M.: Suhrkamp.

Hoof, F.; Jung, E.-M.; Salaschek, U. (Hrsg.) (2011): Jenseits des Labors. Transformationen von Wissen zwischen Entstehungs- und Anwendungskontext, Bielefeld: transcript.

Knorr-Cetina, Karin (2008): Theoretischer Konstruktivismus. Über die Einnistung von Wissensstrukturen in soziale Strukturen. In: Kalthoff, Herbert (Hrsg.): Theoretische Empirie. Die Relevanz qualitativer Forschung, Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 35-78.

Ludwig, J. (2007): Wissenschaftstransfer, Wissenstransfer und neue Veränderungskulturen. In: Ludwig, J.; Moldaschl, M.; Schmauder, M. (Hrsg.): Arbeitsforschung und Innovationsfähigkeit in Deutschland. München: Hampp.

Ronge, V., (1996): Politikberatung im Lichte der Erkenntisse soziologischer Verwendungsforschung. In: Aleman, H.v.; Vogel, A. (Hrsg.): Soziologische Beratung. Praxisfelder und Perspektiven, Opladen: Leske + Budrich, S. 135- 144.

Wingens, M.; Fuchs, S. (1989): Ist die Soziologie gesellschaftlich irrelevant? Perspektiven einer konstruktivistisch ansetzenden Verwendungsforschung. In: Z. f. Soziologie, Jg.18(3), S. 208-219.

 

Termine
Datum Von Bis Raum Lehrende
1 Mo, 30. Aug. 2021 09:00 17:00 1 | noch offen Prof. Dr. Dr. Manfred Moldaschl
2 Di, 31. Aug. 2021 09:00 17:00 1 | noch offen Prof. Dr. Dr. Manfred Moldaschl
Veranstaltungseigene Prüfungen
Beschreibung Datum Lehrende Bestehenspflicht
1. Teilnahme | Class Participation ohne Termin Nein
Übersicht der Kurstermine
  • 1
  • 2
Lehrende
Prof. Dr. Dr. Manfred Moldaschl